Fahrbericht McLaren 650 S: Echt Super dieser Sportler
Endlich! Der Kleintransporter vor mir wechselt wieder auf die rechte Spur. Ich trete aufs Gaspedal. Das 7-Gang Doppelkupplungsgetriebe schaltet rasch zwei Gänge zurück und entfesselt die Kraft der Maschine. Ich werde mit Macht in die Sitze gepresst. Die Tachonadel eilt über die Skala – 160, 180, 200, 220, 240, 260. Der neue McLaren 650 S beschleunigt augenscheinlich schneller von 140 auf 200 km/h, als die meisten „normalen“ Autos von 40 auf 100 km/h. Einige hundert Meter vor uns schert ein Ford Mondeo zum Überholen aus. Bremsen. Der 650 S bleibt gelassen: die Karbon-Keramik-Bremsen verzögern gut dosierbar und souverän. Der Heckflügel klappt nun hoch und wird zur Luftbremse. Der eben noch formatfüllend im Rückspiegel hinter uns fahrende Audi A6 ist kaum mehr zusehen. So fährt sich also in ein Super-Sportwagen!
Nur 10 PS weniger als ein Ferrari „Enzo Ferrari“
Die Leistung des 3,8 Liter großen Twinturbo-V8 stieg um 25 PS auf 650 PS (bei 7.250/min) und bleibt damit nur 10 PS unter dem legendären Ferrari „Enzo Ferrari“. In Verbindung mit dem maximalen Drehmoment von 678 Nm (bei 6.000/min) schießt der längs angeordnete Mittelmotor den nur 1.370 kg wiegenden McLaren Spider auf Wunsch in nur 3,0 Sekunden auf Tempo 100. Die 200-km/h-Marke fällt bereits nach 8,6 Sekunden. 300 km/h sind nach nur 26,5 Sekunden erreicht. Den Topspeed gibt McLaren mit 329 km/h an. Ich sehe keinen Grund an diesen Werten zu zweifeln. Dass McLaren für den 650 S einen Durchschnittsverbrauch von sehr günstigen 11,7 Liter nennt, sei nur am Rande erwähnt.
Viel wichtiger ist, wie der nur einszwanzig flache Sportler seine Performance auf die Straße bringt. McLaren wollte keinen abgespeckten Rennwagen auf die Straße stellen, sondern einen alltagstauglichen Sportwagen. Das ist gelungen. Im Stadtverkehr rollt der 650 S lammfromm mit niedrigen Drehzahlen dahin und wirkt geradezu genügsam. Kein Ruckeln des Antriebs, kein Japsen nach Touren, kein steifbeiniges Abrollen des Fahrwerks. Der McLaren liegt zwar wie ein Brett – ohne dabei bretthart zu sein: Eine tolle Symbiose aus Sportlichkeit und Komfort. Das kann auch ein Porsche 911 kaum besser.
Ein Supersportler ohne Tücken – Respekt muss aber sein
Doch selbst wenn der McLaren gefordert wird und sein fahrdynamisches Potenzial abgerufen wird, bleibt er frei von Tücke. Die direkt übersetzte Lenkung vermittelt feinen Kontakt zur Fahrbahn und gibt viel Rückmeldung. Es ist schon toll, wie McLaren es geschafft hat, den 650 S auf kleinste Lenkbewegungen reagieren zu lassen, ohne ihn um die Mittellage nervös wirken zu lassen. Der Geradeauslauf ist nahezu untadelig. Allein die breiten, speziell für den McLaren gebackenen, Pirelli Corsa Walzen im Format 235/35 R19 vorn und 305/30 R20 hinten laufen gelegentlich Spurrillen nach. In Kurven liegt der Grenzbereich des 650 S so hoch, dass es beinahe kriminell wäre, ihn auf öffentlichen Straßen erreichen zu wollen. Selbst bei nasser Fahrbahn wird das Heck nicht leicht, durcheilt der McLaren Kurven neutral. Leistungsübersteuern ist natürlich jederzeit machbar: Lenkung einschlagen, ein beherzter Tritt aufs Gas – und das Heck setzt zum Schwenk an. Das Ganze geschieht so transparent, dass auch durchschnittlich talentierte Piloten den Drift gut mit Gas und Lenkung dosieren und wieder einfangen können. Dennoch ist bei Nässe Vorsicht geboten: das flache Profil der Pirelli Cup-Reifen verdrängt spürbar weniger Wasser als Reifen mit Standardprofil und schwimmen somit eher auf. Da können bei vollem Leistungseinsatz auf der Autobahn bei 150 km/h schon mal die Hinterräder durchdrehen.
Schier durchdrehen vor Freude lässt der McLaren seinen Piloten beim Wedeln über wenig befahrene, kurvige Landstraßen. Spielerisch dreht der 3,8-Liter V8 hoch. Die Gangwechsel erfolgen unauffällig, das Getriebe hält stets die passende Übersetzung parat. Präzise folgt der 650 S dem Lenkeinschlag, durcheilt Kurven genau der gewünschten Linie folgend und lässt sich dank der guten Übersichtlichkeit nach vorn am Kurvenausgang exakt auf die Fahrbahnbegrenzung positionieren. Einziges Manko: Wie schnell man unterwegs ist, merkt man erst beim Blick auf den Tacho.
Der Auspuff ist das eigentliche Soundsystem
Ich öffne das kleine Heckfenster, das auf Tastendruck nach unten fährt. Der Effekt gleicht einem Soundverstärker: Sämtliche Fahrgeräusche fluten nun ungehindert in den Innenraum. Die Ansauggeräusche des Motors, das Summen der Reifen, das Sprotzeln des Auspuffs im Schiebebetrieb und der V8-Sound beim Beschleunigen lassen vergessen, dass der 650 S auch über ein hochwertiges Audiosystem verfügt. Der McLaren 650 S intoniert sein ganz eigenes Stakkato, das irgendwo zwischen den Trompeten von Jericho und Beethovens „Ode an die Freude“ liegt. Es ist als führen wir offen. Doch das Spider-Dach ist geschlossen, da Petrus es gerade wie aus Eimern schiffen lässt. Hey, auch das ist super, Sportwagen.
Mit dem auf dem Genfer Salon im März 2014 vorgestellten 650 S hat McLaren den Straßensportler C12 zwar nicht neu erfunden, aber feinfühlig weiterentwickelt – und weiter optimiert. Die augenscheinlichste Veränderung betrifft die nun deutlich prägnantere Frontpartie. Chef-Designer Frank Stephenson hat ein eigenständiges McLaren-Gesicht entworfen. Der 650 S schaut nun viel eindringlicher, als das etwas liebliche, fast schon langweilige Gesicht des Vorgängers C12. Hinzu kommen geschmiedete Lightweight-Felgen und die Karbon-Keramik-Bremsanlage. Innen kleiden die Engländer den 650 S serienmäßig mit Alcantara aus. Zu haben ist das alles zu Preisen ab 255.000 Euro. Aber wer in den Optionen der Sonderausstattungen schwelgt, wird locker auch mehr los. Für den üppig ausgestatteten Testwagen berechnet McLaren stolze 331.940 Euro. Wirklich eine Menge Geld! Und doch: Gemessen am Preis für den schon genannten Ferrari „Enzo Ferrari“ ein durchaus wohlfeiles Angebot für die richtig wohlhabenden Autofans.
Zeit sich an der coolen und doch wohligen Architektur des Innenraums zu freuen. Ich schaue auf das mit schwarzem Alcantara bezogene Armaturenbrett. Direkt vor mir der große, mittig angeordneten Drehzahlmesser, der unten rechts auch die Geschwindigkeit in digitalen Ziffern angibt. Meine Hände umgreifen das griffige, ebenfalls mit schwarzem Alcantara bezogene Sportlenkrad und die Zeigefinger nehmen automatisch Platz auf den beiden Schaltwippen dahinter. Mein Blick erfasst die mit Sichtkarbon versehene Mittelkonsole. Der große Touchscreen zur Bedienung von Radio, Navi und anderen Features ist mir egal. Viel interessanter sind die darunter platzierten Schalter, mit denen sich Fahrwerk, Gasannahme, ESP sowie die Getriebesteuerung in Normal, Sport und Track anpassen lassen. Unorthodox, aber nicht unpraktisch: die Bedieneinheiten für die Klimaautomatik sitzen außen in den beiden Türen.
Sinn für Humor: Eigens Winterreifen von Pirelli
Vergessen ist die Einstiegsgymnastik, mit der der vollschlanke und nicht mehr jugendliche Autor sich vorbei an der Semiflügeltür über die ebenso hohen wie breiten Seitenschweller in die Unnachgiebigkeit der optionalen Kohlefaser-Rennschalen (6.030 €) geturnt hat. Nun erweisen sich die dünn, mit schwarzem Alcantara gepolsterten Rennsitze als erstaunlich bequem. Wie wäre es mit einer Tour zu einer Rennstrecke im sonnigen Süden, um sich näher an die Möglichkeiten des McLaren heranzutasten? Nach Süd-Frankreich oder Spanien? Der Kofferraum im Bug fasst 144 Litern Volumen in die zwei Bordcases passen und unter der Abdeckung des Verdecks gibt es weitere 52 Liter. Damit ist der McLaren durchaus reisetauglich. Wie ernst es dem 650 S mit der Alltagstauglichkeit ist, zeigt ein weiteres Detail: Zusammen mit Pirelli haben die Engländer eigens Winterreifen für ihren Supersportler entwickelt.
Autor: Norbert Berg / Fotos: Hersteller