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Ein alter Hut wird als Revolution der Mobilität verkauft

Computergesteuert und elektrisch – geht es nach dem Internet-Giganten Google wird uns sein Auto selbsttätig überall hinbringen – und dabei Daten über uns sammeln. (Illustration: Google)

Das Google-Car und autonom fahrende Autos werden die Autonutzung revolutionieren. Wunschtraum der Computer-Nerds oder reale Perspektive? Ein Zwischenruf.

Wer aktuelle Medienberichte über die Auswirkungen von autonom fahrenden Autos und dem selbstfahrenden Google-Car liest, bekommt den Eindruck vermittelt, die automobile Welt stehe kurz vor einem fundamentalen Umbruch. Aber werden die Auswirkungen dieser neuen Technologie wirklich so massiv sein, dass ein solcher Paradigmen-Wechsel unausweichlich ist? Oder sehen wir hier lediglich die Auswirkungen der auf vollen Touren laufenden PR-Maschinen von Google, Apple und Co.?

Kürzlich las ich im angesehenen britischen online Magazine „Business Insider“ (http://uk.businessinsider.com/there-are-2-competing-ideas-for-the-car-of-the-future–and-only-one-can-win-2015-3) einen Artikel, in dem Autor Matthew Debord beschrieb, wie das Google-Auto die Autonutzung in naher Zukunft auf den Kopf stellen werde. Weil das Google-Auto überall und jederzeit – zumindest in den urbanen Ballungsräumen und deren Einzugsgebieten – verfügbar sein wird, werden die Menschen auf den Erwerb eines Führerscheins ebenso verzichten, wie auf den Erwerb eines eigenen Autos – postuliert Debord. Schließlich werde der mobile Mensch der nahen Zukunft jederzeit auf ein selbstfahrendes Auto Zugriff haben und daher sei es hinfällig selbst ein Auto anzuschaffen oder dieses bedienen zu können. Eine Schlussfolgerung, die im ersten Moment durchaus nachvollziehbar erscheint. Und doch…

Kabinenroller: Derzeit erprobt Google seine Technik mit diesen putzigen Vehikeln, die man eher knuddeln als fahren möchte. Es gibt Platz für zwei Passagiere – Gepäck und größere Einkäufe müssen aber draußen bleiben. Na ja, ist eben noch im Teststadium. (Foto: Google)

Kabinenroller: Derzeit erprobt Google seine Technik mit diesen putzigen Vehikeln, die man eher knuddeln als fahren möchte. Es gibt Platz für zwei Passagiere – Gepäck und größere Einkäufe müssen aber draußen bleiben. Na ja, ist eben noch im Teststadium. (Foto: Google)

Die schöne neue Welt ist ein alter Hut
Wer diese anscheinend innovative Idee der mobilen Zukunft ein bisschen wirken lässt und kurz nachdenkt, wird sich des Verdachts nicht erwehren können, der Autor der Geschichte habe sich zu sehr von den markigen PR-Sprüchen aus dem Google-Headquarter im kalifornischen Menlo Park einlullen lassen. Denn so revolutionär ist die ganze Idee gar nicht. Sie ist vielmehr ein alter Hut. Ein ziemlich alter, um genau zu sein. Derartige Transportkonzepte sind nämlich seit mehr als 150 Jahren erfolgreich am Markt etabliert – zunächst Pferde bespannt als „Miet-Droschke“, später als „Taxi“ ein weltweiter Renner. Der einzige Unterschied zum revolutionären Google-Car: nicht ein Computer steuert Gefährt und Passagier durch den Verkehr, sondern ein Mensch.

Der „Kostentreiber“ Mensch vor dem Aus?
Das Taxi und der öffentliche Personen-Nahverkehr bilden dabei ein bewährtes Beförderungssystem. Das Statistische Bundesamt (Destatis) hat ermittelt, dass 2014 allein in Deutschland über 11,1 Milliarden Fahrgäste Busse und Bahnen im Linienverkehr nutzten. Das sind über 30 Millionen Menschen pro Tag. Doch trotz der gerade in Ballungsräumen guten Qualität und des flächendeckenden ÖPNV-Angebots, ist der Bestand an privaten Personenkraftwagen in eben diesen urbanen Zentren am höchsten und das Verkehrsaufkommen auf den Straßen am dichtesten. Viele Städter besitzen nicht nur ein Auto, sie benutzen es auch regelmäßig. Die Länge der Staus, die allmorgendlich allein in den deutschen Großstädten zu verzeichnen sind, reicht locker einmal um den Globus. Wer’s nicht glaubt, der fahre einmal an einem Werktag morgens gegen 8.00 Uhr durch Hamburg, München, Stuttgart oder Berlin. Viel Spaß!

Für Taxis, wie hier am Frankfurter Flughafen, wird das Leben zusehends härter: Zuerst wilderten Car-Sharing-Dienste wie Flinkster oder Car2go in ihrem Revier, dann startete Uber möglicherweise nur den ersten Angriff der „New Economy“. (Foto: motorMAQ)

Für Taxis, wie hier am Frankfurter Flughafen, wird das Leben zusehends härter: Zuerst wilderten Car-Sharing-Dienste wie Flinkster oder Car2go in ihrem Revier, dann startete Uber möglicherweise nur den ersten Angriff der „New Economy“. (Foto: motorMAQ)

Warum aber ausgerechnet ein breitflächig verfügbares Google-Car daran etwas ändern soll bleibt für mich nicht nachvollziehbar. Sicher, das Taxi-Gewerbe könnte vor einer neuen Herausforderung stehen. Schließlich könnte der „Kostentreiber“ Mensch durch einen Computer ersetzt werden. Der wird nicht krank, verlangt keinen Mindestlohn und muss nicht per Sozialabgaben abgesichert werden. Und er überzieht die Fahrgäste auch nicht plump vertraulichen Unterhaltungen oder hört laut Volksmusik. Anderseits ist der Anschaffungspreis des Google-Car bislang ebenso eine Unbekannte, wie dessen Zuverlässigkeit und die mit seinem Betrieb verbundenen Kosten.

Selberfahren scheinbar ungebrochen attraktiv
In Analogie gilt das wohl auch für die Welt von Flinkster, Car2go und der anderen Car-Sharing bzw. Car-on-Demand-Anbieter. Zugegeben, diese Angebote erfreuen sich einer steigenden Beliebtheit und verzeichnen ansprechende Wachstumsquote. Dass diese Zuwächse aber darauf zurückzuführen sind, dass Menschen ihr eigenes Auto abschaffen, möchte ich indes bezweifeln. Zu vieles deutet darauf hin, dass die Nutzer hier eine interessante Alternative zum Taxi und den Öffentlichen gefunden haben. Und es zeigt auch: Selbst ins Lenkrad zu greifen, ist für viele Zeitgenossen weiterhin eine Verlockung.

Von den Regionen, die nicht im Einzugsgebiet eines Ballungszentrums liegen, haben wir bis hierhin übrigens noch gar nicht gesprochen …

Autor: Norbert Berg