Standpunkt: Mal wieder viele große Wort – und endlich ein neuer Alfa
Ja, ich weiß. Es gehört sich nicht auf jemanden einzuschlagen, der bereits am Boden liegt. Und am Boden liegt die glorreiche italienische Marke Alfa Romeo nun schon seit einigen Jahren. Die Verkaufszahlen in Deutschland sind auf dem Niveau von Lancia angekommen: 2014 fanden nur rund 3.300 Alfa Romeo in Deutschland einen Käufer. Vor 10 Jahren waren es noch mehr als 20.000. Insgesamt sind die Verkäufe weltweit gar hinter die totgesagte Konzernschwester Lancia zurückgesunken. Ein Trauerspiel.
- Alfa Romeo ist in den vergangene Jahren zu einem fahlen Abklatsch einstigen Glanzes verkommen.
- Große Ankündigungen gehören zu Alfa Romeo wie die Schlange im Logo.
- Die neue Alfa Giulia überzeugt stilistisch allenfalls mit der Front.
Jetzt soll aber alles besser werden. Mal wieder. Deutlich häufiger als neue Modelle, kommen von Alfa Romeo blumige Ankündigungen, dass die Marke durchstarten werde und gerüstet sei, den Markt gehörig aufzumischen. Bereits in drei bis vier Jahren werde Alfa Romeo mehr als 300.000 Autos jährlich verkaufen. Das geht schon seit mehr als 10 Jahren so. Geliefert hat das inzwischen in Turin ansässige Management bislang nicht. Im Gegenteil. Von fünf Baureihen im Jahr 2006 (147, 159, GT Brera, Spider) sind zwei angejahrte Modelle (Mito, Giulietta) geblieben.
Jetzt also Giulia. Der neue Alfa für das volumenstarke, aber auch heißumkämpfte D-Segment kommt zwar mit einer ausdruckstarken Front, auf den ersten Fotos enttäuscht der Rest in Sachen Styling weitgehend. Zu sehr wirkt die Seitenansicht wie eine Kopie des aktuellen BMW M3. Zweifellos ein sehr gutes Vorbild, doch da hatten wir von Alfa Romeo mehr Eigenständigkeit erwartet. Schließlich rühmt sich die Marke stets ihrer außerordentlichen Design-Kompetenz. Und wenn wir uns dem Heck zuwenden steigt die Enttäuschung nochmals: Schon beim Maserati Ghibli war das Hinterteil kein großer Wurf. Zu ausdruckslos und zu langweilig. Diesen Hintern nun auch an die neue Alfa Giulia zu klatschen, wirkt uninspiriert und hilflos. Daran können weder die kleine Spoilerkante auf dem Kofferraumdeckel noch der krawallige 4-Rohr-Auspuff etwas ändern. Aber die Optik ist bekanntlich Geschmackssache und über den lässt sich nicht streiten.
Sorry Alfisti. Nach den Jahren des Wartens und Leidens wäre Euch ein überzeugenderes Lebenszeichen eurer Marken zu wünschen gewesen. Zumal die Verzögerung dem Vernehmen auf das Konto seiner Majestät, dem großen Konzernlenker Sergio Marchionne gehen, der wiederholt die Entwürfe der Designer des Centro Stile Alfa Romeo kippte und damit erheblich dazu beitrug Alfa Romeo an den Rand der Bedeutungslosigkeit zu bringen.
Unter der Haube aber kündigen die Macher massig Pferdestärken an. Die Spitzenversion soll gar eine Power-Orgie mit 510 PS entfesseln. Angeblich habe Ferrari bei der Abstimmung des V6-Turbomotors hilfreich zur Seite gestanden. Na klar. Die haben in Maranello ja auch sonst nichts zu tun. Den Top-Diesel mit 3,0 Liter Hubraum steuert Konzernschwester Maserati bei und soll es auf stramme 350 PS bringen. Das Gros der Giulia aber werden die braven Vierzylinder antreiben, deren Leistungspanne beim Diesel von 105 bis 200 PS und bei den Otto-Motoren von 105 bis 240 PS reichen sollen. Hoffentlich wird es denen gelingen, der Giulia eine Fahrdynamik zu verleihen, die den vollmundigen Ankündigungen der Verantwortlichen und der dick aufgetragenen Sportlichkeit der Giulia-Vorstellung noch gerecht wird. Ankündigungen und Versprechungen hat es in der Vergangenheit schon mehr als ausreichend gegeben. Jetzt ist es höchst Zeit zu liefern, meine Herren.
Autor: Norbert Berg
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