Das Assistenzsystem ISA macht Blitzer und Radarfallen überflüssig
Auf die Hersteller von Verkehrsüberwachungsgeräten kommen schwere Zeiten zu. Ihre High-Tech-Apparaturen zur Messung der Geschwindigkeit werden sie in wenigen Jahren nur noch außerhalb Europas verkaufen können. Die teuren Messgeräte mit Namen wie Poliscan Speed oder Vitronic werden überflüssig, weil die EU ab 2022 bei allen Neufahrzeugen eine elektronische Tempobremse zwingend vorschreibt. Diese im Fahrzeug eingebaute automatische Geschwindigkeits-Kontrolle und -Anpassung heißt ISA. Die Abkürzung steht für „Intelligent Speed Adaptation“ oder auf Deutsch intelligenter Geschwindigkeitsassistent.
In der Praxis passiert mit ISA Folgendes: Der Fahrer startet ganz normal sein Auto und beschleunigt beispielsweise im Stadtverkehr. Sobald der Wagen die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erreicht hat, endet die Beschleunigung, das Auto fährt konstant Tempo 50. Dabei fühlt sich das Gaspedal schwer und unbeweglich an, der Fahrer kann also das Geschwindigkeitslimit nicht überschreiten. Bremsen und Anhalten funktioniert ganz normal ohne Eingriff von ISA. Bei höheren Geschwindigkeitslimits wie 80 oder 100 km/h arbeitet das System genauso. Fährt man aus einem unlimitierten Abschnitt in einen Abschnitt mit Limit 100 km/h, nimmt ISA die Motorleistung zurück und verlangsamt so die Fahrt – aktives Bremsen ist nicht vorgesehen.
Die Zahl der Verkehrstoten und Verletzten soll weiter reduziert werden
ISA gehört zu einer Reihe von Assistenzsystemen, die ab 2022 vorgeschrieben werden und den Straßenverkehr in Europa dem von der EU postulierten Ziel „Vision Zero“ näherbringen sollen. Alle Vision-Zero-Maßnahmen zusammen sorgen dafür, dass bis 2050 die Zahl der Verkehrstoten nahezu auf null (Zero) sinken könnte. Förderer der Vision-Zero-Strategie erwarten von ISA aber weit mehr als nur eine Reduzierung der Unfallzahlen. Sie versprechen zudem, dass ISA, sobald erst einmal genügend Fahrzeuge mit der automatischen Tempobremse auf den Straßen rollen, den Verkehr flüssiger und leiser macht. Durch die Reduzierung von Geschwindigkeitsspitzen und Bremsmanövern soll das Assistenzsystem auch den Treibstoffverbrauch und damit die Schadstoffemissionen senken helfen.
ISA nutzt eine Reihe von Assistenzsystemen, die es heute schon gibt
Voraussetzung für das Funktionieren von ISA in künftigen Automodellen sind eine Reihe von Assistenzsystemen, die wir schon heute kennen. So bezieht die elektronische Tempobremse die Information über die aktuell zulässige Höchstgeschwindigkeit von der optischen Verkehrszeichenerkennung und vergleicht diese mit der Fahrzeugposition (dank GPS-Daten) und den im Navigationssystem verfügbaren Streckeninformationen. Da diese Assistenten bereits heute in Großserie verbaut werden, schätzt die Europäische Kommission die Zusatzkosten für ISA lediglich auch rund 50 Euro pro Fahrzeug.
Die Tempobremse ISA kommt – wie streng sie arbeitet ist noch nicht entschieden
Während der zu erwartende Sicherheitsgewinn durch ISA schon in mehreren Studien berechnet und untersucht wurde, ist die genaue Arbeitsweise und Programmierung der Tempobremse in den Vorschriften der EU noch nicht festgelegt. So soll ISA erst aktiv werden – das heißt die Motorleistung reduzieren, um das Tempo zu senken, wenn der Fahrer dauerhaft zu schnell fährt. Aber was soll „dauerhaft“ heißen? Nach derzeitigem Kenntnisstand soll das vorgeschriebene ISA-System vor dem Geschwindigkeits-Eingriff den Fahrer akustisch und optisch warnen.
Zudem soll der Fahrer das System z.B. durch kräftiges Gasgeben etwa beim Überholen „überfahren“ können. Und zu guter Letzt soll ISA vom Fahrer komplett abgeschaltet werden können, so wie heute ein Spurhalteassistent. Allerdings wird das System dann bei jedem Neustart des Wagens wieder voll aktiviert. Entschieden und ausformuliert seitens der EU sind die Details noch nicht. Von deutschen Verkehrssicherheits-Fachleuten war allerdings bereits zu hören, dass die Konferenzen auf EU-Ebene zurzeit Corona-bedingt dem Zeitplan hinterherhinken. Ob deshalb die Einführung aller für 2022 vorgesehenen Assistenzsysteme verschoben wird, ist noch völlig offen.
In der Einführungsphase werden ISA-Fahrer von „klassischen Fahrern“ als Bremsklötze empfunden
Der ADAC hat bereits Anfang 2018 ISA-ähnliche Systeme wie Tempomaten mit Abstandsregler von mehreren Herstellern getestet. Mit einer Fehlerquote von rund zehn Prozent waren die Tester allerdings eher unzufrieden. Die Mehrzahl der Fehler lag beim „falschen“ Erkennen der Verkehrsschilder. Deshalb forderte der ADAC übersteuerbare und abschaltbare ISA-Systeme. Bei den Fahrtests registrierten die Versuchsfahrer einen Effekt, der auch Fahrern von Pkw mit Adaptive Cruise Control bekannt sein dürfte. Sobald ein Fahrzeug mit aktivem Geschwindigkeitsassistent oder mit ISA ein Speedlimit auch nur leicht unterschreitet, setzen die nachfolgenden „klassischen Fahrer“ nach und nach zum Überholen an. Dieser Effekt ist umso stärker, wenn das ISA-Fahrzeug seine Geschwindigkeit nicht per GPS ermittelt, sondern von einem vorauseilenden Tachometer vorgegeben bekommt.
Nur eine überwachte Autofahrt ist eine sichere Fahrt – auf Datenschützer kommen neue Aufgaben zu
Keine Frage, wenn 2022 die ersten Automodelle mit ISA im Straßenverkehr unterwegs sind, wird es immer noch Schnellfahrer geben, die Limits zum Teil sehr deutlich überschreiten. Sind aber erst mal genug Autos mit ISA auf den Straßen, dann wird „Schnellfahren“ praktisch unmöglich, weil fast überall ein ISA-Fahrzeug vor einem Schnellfahrer den Verkehr einbremst und beruhigt.
Weitere Assistenzsysteme und Sicherheitsfunktionen, die ab 2022 vorgeschrieben werden, sind die bereits bekannte Müdigkeitswarnung, eine Warnung bei Ablenkung des Fahrers, eine Rückfahrkamera oder Abstandssensoren, ein erweiterter Notbremsassistent, ein Spurhalteassistent und ein Alkoholtester mit Start-Blockade des Motors. Die weitreichendste Veränderung bringt allerdings die vorgeschriebene Fahrdaten-Aufzeichnung durch einen Datenrecorder, die sogenannte „Blackbox“. Neben der Speicherung der Daten im Fahrzeug sieht ein weiteres Denkmodell die Zwischenspeicherung in der Cloud vor. Nach einer limitierten Speicherzeit könnten die Daten dann nach unfallfreier und StVO-konformer Fahrt gelöscht werden. Oder es erfolgt dann eine Anonymisierung, damit Behörden die Fahrprofile für eine verbesserte Verkehrsplanung weiter auswerten können.
Rein theoretisch kann mit solchen Techniken auch kontrolliert werden, wie oft Plug-in-Hybride tatsächlich Strom laden, oder wie oft und lange Verbrennungsmotoren von ihren Besitzern im Leerlauf betrieben werden.
Autor: Thomas Wüsten