Car Leaks: Von Automanagern und Krokodilstränen
Die Online-Ausgabe des renommierten Magazins WirtschaftsWoche berichtet ausgiebig: Eigentlich habe Opel die Neuauflage des Astra noch geheim halten wollen, doch nun haben die Rüsselsheimer das Versteckspiel mit den Medien verloren. Und so ergehe es allen Autobauern immer öfter.
- Autobauer lancieren Leaks ihrer Neuheiten mit voller Absicht.
- Marketing-Abteilungen maximieren damit Aufmerksamkeit für Neuerscheinungen.
- Medien lassen sich von Autoindustrie instrumentalisieren – und merken es oft noch nicht einmal.
Alles nur Zufall? Oder sind die Medien in Sachen Auto heute sehr viel investigativer unterwegs als früher? Blödsinn. Die Autobauer sind einfach pfiffiger geworden und lancieren ihre Neuheiten, indem sie den Journalisten vorgaukeln, eine heikle Entdeckung gemacht zu haben. Sensation! So wird auch ein Allerweltsauto zum Aufmacher der neuesten Ausgabe. Eine derart prominente Platzierung wäre mit dem offiziell versandten, ersten Bild in vielen Fällen eher nicht erreichbar.
Einspruch, Euer Ehren!
Ja, ja, ich höre schon den Widerspruch: Wenn ein neues Auto zu früh in der Öffentlichkeit bekannt wird, belastet das den Abverkauf der letzten Produktionseinheiten der abzulösenden Generation massiv. Das stimmt, ist aber zu kurz gedacht. Denn der bevorstehende Modellwechsel ist ja kein wirkliches Geheimnis und die Spatzen pfeifen ihn schon längst von den Dächern. Der Zyklus, in dem Modellwechsel erfolgen, ist gemeinhin bekannt: Durchschnittlich alle sieben Jahre kommt eine neue Generation. Allein dieses Allgemeinwissen belastet den Absatz am Ende des Modelllebenszyklus massiv. Außerdem haben Wettbewerber inzwischen jüngere und attraktivere Modell am Start. Mit enormen Rabatt- und Finanzierungsangeboten drücken die Hersteller kurz vor dem Modellwechsel die Autos geradezu in den Markt; der Absatz wird sozusagen gekauft. Das nagt am Deckungsbeitrag und viel Geld pro Fahrzeug bleibt letztlich beim Hersteller nicht mehr hängen.
Gut also, wenn frühzeitig erste Bilder sowie ein paar wohldosierte Daten des Nachfolgers öffentlich werden. Die Botschaft ist klar: Leute, verschiebt eure Kaufentscheidung bis unser Neuer auf dem Markt ist. Dann bekommt ihr das modernste – sprich beste – Auto. Noch besser, wenn dies nicht über die offiziellen Kanäle geschieht sondern nur inoffiziell. Denn dann muss der Autobauer noch nicht mit belastbaren Fakten und Preisen um die Ecke zu kommen und er hat die Chance seine Marketing- und Vertriebsstrategie entsprechend der Reaktionen der angepeilten Käufergruppen nachzubessern. Ist ja schließlich alles noch inoffiziell, daher gibt es keine offiziellen Aussagen.
Tarnen und Täuschen mit offenen Karten
Um den Neuling frühzeitig, aber noch nicht offiziell in der Öffentlichkeit zu platzieren, geben die Hersteller einige Tage vor der offiziellen Premiere nicht nur echte Bilder ihres neuen Autos an ausgewählte Fachmagazine. Während die Fahrversuche laufen, stecken sie dem ein oder anderen Journalisten durch, in welcher Ecke der Welt die sogenannten Erlkönige, also die getarnten Prototypen, gerade unterwegs sind und abgelichtet werden können. Hin und wieder werden Medienvertreter gar eingeladen, vor Ort bei solchen Fahrversuchen dabei zu sein und das neue, noch getarnte Auto eigenhändig zu fahren.
In der Branche ist es zudem ein offenes Geheimnis, dass die Hersteller auch bei der Enttarnung ihrer mit Aufklebern und Plastikverhunzungen unkenntlich gemachten Erlkönige behilflich sind. Es soll Magazine geben, die senden gar ihre Computerretuschen zur Abstimmung an den jeweiligen Hersteller. Manche Hersteller stellen auch eigene Zeichnungen zur Verfügung. Die Industrie will schließlich, dass die potenziellen Käufer das neue Modell wiedererkennen, wenn es auf den Markt kommt. Die Journalisten finden’s toll. Und mancher fühlt sich dabei sicherlich als Enthüllungsjournalist vom Schlage eines Günter Wallraff oder eines Gerd Heidemann bei der Entdeckung der Hitler-Tagebücher.
Die Manager aller Autoproduzenten haben längst erkannt: Die Autokäufer und die Journalisten sind nicht so dumm wie man denkt. Sie sind noch viel dümmer.
Autor: Norbert Berg