24 Stunden 911 SC Baujahr 1983
Die Idee ist faszinierend – keinen Oldtimer besitzen, sondern einfach mieten, spontan nach Lust und Laune, für einen Tag oder länger.
Porsche, der Name steht immer noch für pure Sportwagen-Faszination, auch wenn heute mehrheitlich tonnenschwere SUVs und Limousinen unter dem Namen verkauft werden. Okay, auch der Sportwagen-Urmeter 911 ist im Laufe seiner Entwicklung dicker und schwerer geworden. Sauschnell im Vergleich zu den übrigen Verkehrsteilnehmern ist er wie eh und je. Ich könnte mir einen mieten oder bei den Kollegen der Presseabteilung in Zuffenhausen nach einem Testwagen fragen. Aber will ich wirklich knapp 1.655 Kilogramm mit der Leistung von 370 PS aus einem aufgeladenen 3,0-Liter-Boxer bewegen (bezieht sich auf den noch aktuellen 991.2 als Carrera 4 mit PDK)? Meine plötzliche Porsche-Lust kommt aus der Erinnerung. Der Erinnerung an die wunderschönen G-Modell 911er – mit luftgekühlten Motoren, einer Lenkung ohne Servounterstützung und ohne ABS, ESP und Airbag. Einige dieser Autos durfte ich fahren als ich ein junger Mann war, lange her.
Also Vollgas in die Vergangenheit, ich möchte mich in so einer kleinen, kompakten Zeitmaschine rund 35 Jahre zurück beamen und spüren, ob die Erinnerungen nur verklärte Träumereien sind oder ob diese 11er wirklich so toll waren und es möglicherweise immer noch sind.
Bei oldierent.de in Köln, Ortsteil Dellbrück, stehen in einer Halle über 30 Oldtimer zur Vermietung bereit. Unter anderem gibt es dort ein 911 SC Cabrio Baujahr 1983 zum 24-Stunden-Preis von rund 300 Euro, inkl. Vollkasko mit 500 Euro Selbstbeteiligung. Die Einweisung erfolgt schnell, umfassend und professionell. Schon boxere ich sechszylindrig vom Hof. Die stramme Kupplung mit dem knappen Druckpunkt ist gewöhnungsbedürftig, wie immer. Nach einmal Abwürgen sind das alte Gefühl und die Sensibilität im linken Fuß wieder wach. Hier meine weiteren Eindrücke:
- Einfach nur ein „altes Auto“? – Mensch, was hab‘ ich da für eine Karre erwischt? Der Elfer kommt aus den Staaten, hat schon knapp 300.000 Kilometer gelaufen und immer noch den ersten Motor samt Getriebe, nur die Kupplung soll neu sein. Der 3,0-Liter-Sechszylinder mit 180 PS ist sauber gestartet und läuft gut, alles andere fühlt sich alt, unexakt und gebraucht an. Die Kupplung rupft beim Einkuppeln, auch nach langem gefühlvollen Warmfahren.
- Das manuelle Fünfganggetriebe 915 ist einfach Schei… – zumindest in diesem 911er. Mitunter springt der erste Gang beim Gaswegnehmen laut vernehmlich einfach raus. Auch der zweite Gang will besser am Schaltstock in seiner Position gehalten werden. Die Schaltebenen sind einfach „ausgelutscht“, der Weg in den dritten Gang erfordert viel Gefühl. Zwischen Viertem und Fünftem klappt es meistens besser.
- Endlich freie Bahn – Autobahn – natürlich ist ein 911er – und erst recht ein 35 Jahre alter – nicht für die Autobahn gedacht. Aber die kann er trotzdem bewältigen, und ich bin raus aus dem Stadtverkehr und habe endlich Zeit zur Eingewöhnung. Der Motor läuft bei mittleren Drehzahlen erstaunlich ruhig; auch im großen Gang zieht er sauber und kräftig durch. Tja, halt Saugmotor mit 3,0 Liter Hubraum und elektronischer Einspritzung.
- Mit jedem Kilometer wächst der Genuss – die anderen hetzen zur Arbeit, manche TDI-Treter auf der BAB 555 mit über 200 km/h. Ich rolle mit wechselnder Geschwindigkeit und freue mich auf einen Tag in der Eifel. Was sagt noch Dario Franchitti, der 45-jährige IndyCar-Champion, im Interview in „auto, motor und sport“, Ausgabe 23/2018, über den Spaß im Oldtimer: „… man hört auf den Motor – und man kämpft mit dem Getriebe.“ Stimmt.
- Vor mir das Asphaltband und fünf Rundinstrumente – in der Mitte der Drehzahlmesser. Bei Tempo 100 steht die spitze rote Nadel bei 2.800 Umdrehungen. Der rote Bereich beginnt bei 6.300 und ist im Laufe der Jahre schon etwas ausgebleicht. Jetzt sind wir schon über eine halbe Stunde unterwegs und mein Vertrauen zu dem alten SC hat beinah Neuwagen-Niveau erreicht. Die Lenkung ist leichtgängig und exakt, der Wagen tut das, was ich will. Mein rechter Fuß streichelt das Gaspedal etwas mehr, und schon stehen 180 km/h an. Der 11er beginnt leicht zu tigern, bewegt sich aber immer noch unkritisch geradeaus. (als „Tigern“ bezeichnet man das leichte Drehen/Pendeln um die Vertikalachse bei höheren Geschwindigkeiten – speziell bei älteren 911 Modellen bekannt)
- Zuhause angekommen – in Plittersdorf, dort wo etliche Oldies als Garagengold schlummern – so gut behütet wie das Familiensilber, aber teils noch viel seltener in Benutzung. Noch ein paar Fotos im Garagenhof gemacht und das alte Auto der Ehefrau gezeigt, erklärt und ein wenig demonstriert. Sie sieht das Leuchten in meinen Augen und die Begehrlichkeit, die der Wagen weckt. Die Reaktionen fallen unterkühlt und die Kommentare eher schmallippig aus.
- Ab in die Eifel, Richtung Nürburgring – das Cabrio-Verdeck ist mittlerweile geöffnet, die Sonne lacht und es dürften so 18 bis 20 Grad sein. Die Verdeck-Persenning bleibt vorn im Gepäckraum, denn ab 100 km/h flattert sie so locker im Luftsog, als wolle sie ihren Platz Richtung Himmel verlassen. Freund Ralf sitzt auf dem Beifahrersitz und freut sich, dass er den Verdeckschutz nicht mehr mit der Hand rücklinks bändigen muss.
- Der Sound ist einmalig – Es ist schon sehr viel über das Motorgeräusch des Porsche 911 geschrieben, geträumt und fabuliert worden. Diese Melodie beim Hochdrehen wie beim Runterschalten wird nicht vom Auspuff, von Bollern oder Blubbern geprägt, nein, es ist einfach pure Mechanik. Das vertikale Lüfterrad rotiert und bei hohen Drehzahlen vernehmen sensible Ohren auch Sägen und Schreien.
- Eifel-Kurven – Sportwagen-Genuss lebt von gesteigerter Längsdynamik, vom Beschleunigen, stark Beschleunigen, extrem Beschleunigen, den Motor ausdrehen und natürlich vom Bremsen, auch starkem Bremsen, gerade so wie der Fahrer es möchte. Noch wichtiger ist jedoch die Querdynamik, das was das Auto in Kurven macht, möglich macht, vollführt und wie es sich dabei anfühlt. Geradeaus können auch PS-starke Limousinen Eindruck machen. In Kurven gehört weit mehr als Leistung dazu. Das Fahrwerk ist gefragt, Gewichtsverteilung, Lage des Schwerpunkts und so weiter. Aus all dem und noch mehr ergibt sich das Kurvenfahrverhalten. Und was noch wichtiger ist, das subjektive Fahrgefühl, das beim Fahrer ankommt.Der Porsche 911 benimmt sich in Kurven einfach einzigartig – und das nicht etwa, weil er vom Konzept her so gute Voraussetzungen mitbringt. Der weit hinten liegende Schwerpunkt, bedingt durch den Heckmotor, steht rein physikalisch einem neutralen Kurvenverhalten eher entgegen.
Doch im Laufe der langen Entwicklung haben die Porsche-Ingenieure viel getüftelt, abgestimmt und getrickst, um der potenziellen „Heckschleuder“ 911 Manieren beizubringen. Was der Heckmotor mit der hohen Last auf den Hinterrädern bringt, das ist Traktion satt. Und so kann der Fahrer mit dem Zusammenspiel aus feinfühliger, exakter Lenkung und hecklastiger Gewichtsverteilung den 11er auf der Fahrbahn und besonders in Kurven genau da platzieren, wo er ihn haben will. Egal ob 2.-Gang-Kurve oder 3. Gang oder noch zügiger im 4. Gang, es ist genussvolles aktives Fahren, selbst mit diesem alten 911 SC. Vor der Kurve mit der direkten Lenkung das Fahrzeug positionieren, dabei mit der gut dosierbaren Bremse die Eingangsgeschwindigkeit definieren und dann Einlenken, Zack. Dann unter Last – mit stetigem Druck des Sechszylinders – den Scheitelpunkt anpeilen, passieren und kräftig beschleunigend den Kurvenausgang erreichen. Kurze Gerade, nächste Kurve, das Spiel beginnt von neuem. Das ist ein Genuss.
- …und außerdem – sitzt es sich auch in diesem 35 Jahre alten 911 einfach perfekt. Aufrecht, versammelt und mit dem richtigen Abstand zu Lenkrad und Schaltknüppel. Toll die Übersicht nach vorne und wie man mit dem Blick über die beiden „Kanonenrohre“ (11er-Fahrer nennen so die charakteristischen vorderen Kotflügel) die Kurven anpeilen kann. Dabei bietet der 911 einen guten Federungskomfort, die Serienabstimmung ist keinesfalls zu hart. Im 11er kann man auch reisen.
Zum Schluss bleibt pure Begeisterung, auch für das alte 911 SC Cabrio. Ohne all die heute verfügbaren elektronischen Helfer und Assistenten fährt man den 35 Jahre alten Porsche viel bewusster und wacher. Der Fahrer wird von nichts eingelullt, aber auch nicht von übertriebener Härte, Geräuschkulisse und Sportlichkeit genervt. Alles ist echt und ursprünglich, ohne Soundgenerator.
Mein ganz persönliches Fazit lautet: Ein Porsche 911 G-Modell muss her. Das Cabrio scheidet aus, weil es mit geschlossenem Verdeck die typische Linienführung optisch nicht rüberbringt. Ein Targa wäre reizvoll, aber ein Targa ist nie ganz offen und nie ganz zu, beim Reisen und Cruisen mit geschlossenem Dachteil kann er ziemlich laut sein (Windgeräusche). So fällt die Wahl auf ein 911 Carrera Coupé, also das reine 911er Design, so wie 1959 von F.A. Porsche entworfen (allerdings für den US-Markt und die dortigen Crash-Vorschriften ab 1973 bei der G-Modell-Generation u. a. mit den Balgen-Stoßfängern weiterentwickelt).
Meine Anzeige lautet: „Suche Porsche 911 Carrera 3.2 Coupé, Modelljahr 1987 bis 1989, mit G-50-Getriebe, möglichst schwarze Lederausstattung, unverbastelter Original-Zustand, ersatzweise auch älterer Carrera mit 915-Getriebe oder topgepflegter SC.“ So ein Auto wird sich doch finden lassen. Schließlich ist es so wie Walter Röhrl schon sagte: „Eine Garage ohne Porsche 911 ist doch ein ödes, leeres Loch.“ – Uups, da kommt das Killer-Argument meiner Frau, für meinen künftigen 11er habe ich noch gar keine Garage.
Autor: Thomas Wüsten