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24h Le Mans: Das Milliarden-Rennen

Anachronismus und Faszinosum: Beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans kämpfen hochkomplexe und extrem teure Rennwagen um den Sieg. Die Zuschauer freuen sich über viel Atmosphäre und tolle Bilder. (Werksfoto)

Am Samstag (13. Juni) ist es wieder soweit: um 15 Uhr schwenkt irgendein Promi die Tricolore und startet das 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Hochgezüchtete Rennwagen werden dann von ihren jeweils drei Fahrern zweimal rund um die Uhr über die legendäre Rennstrecke an der Sarthe geknüppelt. Und alle, die am Sonntagnachmittag die Zielflagge sehen, werden während dieses einen Rennens mehr Kilometer abgespult haben, als ein Formel-1-Bolide während der kompletten Saison 2015 mit ihren 19 Einzelrennen.

  • Porsche, Toyota, Nissan und Audi investieren jeweils Millionen um ein einziges Rennen zu gewinnen.
  • Volkswagen leistet es sich zwei Konzernmarken aufeinander zu hetzen.
  • Die Investitionen rechnen sich allenfalls für den Sieger – wenn überhaupt.

Doch während die Formel 1 von Anfang März bis Ende November immer wieder stattfindet und mit breiter, weltweiter Medienpräsenz glänzt, gibt es Le Mans nur an diesem einen Wochenende im Juni. Die anderen Rennen der sogenannten WEC (World Endurance Championship) zählen nicht, denn bei denen befinden sich mehr Leute in der Boxengasse als auf den Zuschauerrängen. Dennoch investieren Hersteller wie Audi, Porsche, Nissan oder Toyota jeweils dreistellige Millionenbeträge in ihr Le Mans-Engagement.

Richtig große Le Mans-Fans scheint es in der Konzernleitung von Volkswagen zu geben. Dass der Konzern ein umfassendes Sparprogramm aufgelegt hat, spielt für die VW-Granden beim Thema Motorsport offenbar keine Rolle. Die Nummer zwei auf dem Weltmarkt lässt gleich zwei Konzernmarken von der Leine.

Aufstellung zum Training: Der Audi R18 wartet vor dem Toyota TS040-Hybrid auf die Freigabe der Strecke. (Werksfoto)

Aufstellung zum Training: Der Audi R18 wartet vor dem Toyota TS040-Hybrid auf die Freigabe der Strecke. (Werksfoto)

Audi hat den R18 mit enormem Aufwand weiterentwickelt
Audi ist finster entschlossen den 14. Sieg zu erringen und damit den Erfolg des Vorjahres zu wiederholen. Die Ingolstädter haben massiv in die die Optimierung ihres komplexen und daher sehr anspruchsvollen Hybrid-Antriebs investiert. Schließlich hatten die Ingolstädter im vergangenen Jahr ein deutliches Leistungsmanko gegenüber den LMP1-Prototypen von Toyota und Porsche zu beklagen. Nur die bessere Zuverlässigkeit der Audi verhalf am Ende zum Sieg. Doch trotz aller Bemühungen, ist das Ergebnis nicht zufriedenstellend. Hinter vorgehaltener Hand ist zu hören, dass Audis Powerunit – so heißen die Antriebseinheiten heute – nach wie vor schwächelt und ihre Leistung deutlich hinter der von Porsche und Toyota zurückbleibt. Die Ingolstädter haben daher auch massiv in die Weiterentwicklung des R18 e-tron quattro investiert. Insider berichten, dass allein für die Überarbeitung der Aerodynamik rund 20 Millionen Euro aufgewendet wurden. Das Ergebnis klingt gut: Der aktuelle R18 ist so windschlüpfrig geraten, dass er trotz steiler stehender Flügel schneller ist als der Vorgänger.

Während Toyota und vor allem Porsche ihre Autos mit minimaler Flügelneigung auf maximale Topspeed trimmen, um so die Highspeed-Passagen des Kurses bestmöglich zu nutzen, verspricht sich Audi Vorteile in den schnellen Kurvenpassagen, wie z. B. den sog. Porsche-Kurven oder im Bereich des Dunlop-Bogens. Im Qualifying ist die Rechnung jedenfalls nicht aufgegangen. Der schnellste Audi war rund drei Sekunden langsamer als der schnellste Porsche und lag eine Sekunde hinter dem langsamsten Porsche 919 hybrid. Die drei LMP1-Porsche werden von den ersten drei Plätzen ins Rennen gehen.

Porsche mit Prototypen und GT-Sportwagen am Start
Überhaupt Porsche: Audis Konzernschwester Porsche hat für die Austragung 2015 ebenfalls nochmals nachgelegt. Die Zuffenhausener Sportwagenbauer leisten sich gar den Luxus eines doppelten Werksprogramms: für die Top-Kategorie „LMP1“ entwickelte man eigens den Porsche 919 hybird und in den GT-Klassen geht man mit dem Porsche 911 RSR in der Klasse „GTE-Pro“ an den Start. Ausufernde Geldverschwendung? „Der Rennsport ist für uns ja nicht nur ein Marketinginstrument, sondern Motorsport hat vor allem etwas mit unserer Markenidentität zu tun“, wehrt Porsche-Chef Matthias Müller ab. „Unsere Rennwagen sind auf jeden Fall immer auch rollende technische Labore, in denen die Innovationen der Zukunft erprobet werden“, so Müller weiter. Aha! Schön, dass es noch Hersteller gibt, die sich den Motorsport als Spielfeld ihrer Vorausentwicklung leisten.

Im vergangen Jahr noch bestimmte Toyota die Pace. In diesem Jahr kamen die Toyota TS040 des Team Gazoo Racing nicht an die Zeiten von Porsche und Audi heran. Vielleicht haben sich die Japaner aber auch ganz auf die Rennabstimmung konzentriert und die Zeitenjagd im Qualifying den anderen überlassen. (Werksfoto)

Im vergangen Jahr noch bestimmte Toyota die Pace. In diesem Jahr kamen die Toyota TS040 des Team Gazoo Racing nicht an die Zeiten von Porsche und Audi heran. Vielleicht haben sich die Japaner aber auch ganz auf die Rennabstimmung konzentriert und die Zeitenjagd im Qualifying den anderen überlassen. (Werksfoto)

Das dürfte auch für die Nummer eins der Automobilhersteller gelten. Toyota will 2015 endlich den Sieg einfahren, dessen man 2014 noch durch technische Defekte beraubt wurde. Auch der Gewinn der WEC-Gesamtwertung war für die Japaner kein adäquater Trost. Die WEC hat keinen Vermarktungswert und wird von den Teilnehmern selbst nur als Testfeld für Le Mans wahrgenommen. Allerdings wurde das schnellste Auto der Vorsaison nur dezent und kostensensibel weiterentwickelt mit dem Resultat, dass man im Qualifying hinter den beiden deutschen Werken nur noch die dritte Geige spielte. Dennoch dürfte auch Toyota den Start beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans mit einem dreistelligen Millionenbetrag budgetiert haben.

Millionenausgaben auch für Marketing-Aktivtäten an der Strecke
Denn nicht nur die Kosten für Entwicklung und Einsatz der Rennautos sind enorm, auch der Aufwand, den die Hersteller im Umfeld des Rennens betreiben beeindruckt. Weil Le Mans mit seinen 143.000 Einwohnern weit ab vom Schuss in der französischen Provinz liegt und – vorsichtig ausgedrückt – nicht gerade durch ein breites Hotelangebot glänzt, sind sämtliche Herbergen im Umkreis bis zu 200 Kilometer zu horrenden Preisen ausgebucht. In der Vergangenheit hat sich Audi damit beholfen, ihre illustre Gästeschar in mehr als 100 speziell designten Audi-Zelten unterzubringen. Hinzu kommen Hospitality-Zelte im Format und Design eines ordentlichen Autohauses, die jeder Hersteller an der Strecke errichten lässt und in dem er seine zahlreichen Gäste bewirtet. Und um den Marketing-Auftritt rund zu machen, karren die Hersteller auch alles an Markenbotschaftern, ehemaligen Rennfahrern und Produktneuheiten an, was sie im Köcher haben. Dass die jeweiligen Konzern-, Marken- und Technikchefs vor Ort sind versteht sich eh von selbst. Audi rüstet zudem die Organisatoren und die Rennleitung mit fahrbaren Untersätzen aus und schickt allein zu diesem Zweck drei Autotransporter mit seinen Vorzeige-Produkten nach Le Mans. Rechnet man die Ausgaben der Hersteller und Einsatzteams, die Entwicklungskosten der Prototypen, die Ausgaben der Organisatoren und des Departements Sarthe sowie die der Zuschauer zusammen, erhält man einen Milliardenbetrag, den dieses eine Rennen umsetzt.

Der Nissan GT-R LM Nismo sieht irgendwie putzig aus und wirkt nicht sehr schnell. Dennoch: Der Mut der Japaner mit den Konventionen zu brechen ist bemerkenswert. (Werksfoto)

Der Nissan GT-R LM Nismo sieht irgendwie putzig aus und wirkt nicht sehr schnell. Dennoch: Der Mut der Japaner mit den Konventionen zu brechen ist bemerkenswert. (Werksfoto)

Das absolute Kontrastprogramm bei Nissan
Allein Nissan scheint ein Kontrastprogramm zu fahren – beim Auto, wie auch beim Drumherum. Im Gegensatz zu allen anderen sitzt die Powerunit der drei Nissan GT-R LM Nismo vor (!) dem Cockpit und treibt die Vorderräder an. Schon bei den Trainingssitzungen am Mittwoch und Donnerstag wurde deutlich, dass diese radikal andere Fahrzeugkonzept eine breite Palette von Problemen birgt und der Nissan nicht wird mit Audi, Porsche und Toyota mithalten können. Offenbar war man sich dessen auch bei Nissan im klaren und hat seinen Auftritt neben der Strecke eher bescheiden, fast schon unscheinbar und dem entsprechend kostensparend  ausgelegt.

Ob der ganze Aufwand auf und neben der Strecke sich für die Werke letztlich lohnt, wissen allenfalls die Finanzcontroller der Konzerne. Dass die Investition unter dem Strich lohnend war, erscheint nur für den Sieger denkbar. Wer das sein wird, wissen wir spätestens am Sonntag um 15 Uhr. Für den Rest heißt es „außer Spesen nix gewesen“ und sie werden sich trösten eine Reihe wichtiger Erfahrungen gemacht zu haben – allerdings sehr, sehr teure Erfahrungen.

Autor: Norbert Berg